Sonntag, 29. Juli 2012

Was ist „This Variation“? Wer ist Tino Sehgal?


Unscheinbar und versteckt im Hinterhof
– der Eingang zu This Variation
Könnt ihr euch noch an das Gefühl erinnern, das einen überkam, wenn man als Kind im Dunkeln einschlafen sollte? Schon fast vergessen, oder? Bei Tino Sehgals documenta-Beitrag ist es für einen Moment wieder da. Es ist der Augenblick, in dem nach kurzem Zögern die Neugierde die Angst vor der Dunkelheit überwindet. Dann traut man sich und tastet sich ganz vorsichtig hinein in die absolute Finsternis. Quietschende Turnschuhe, rhythmisches Klatschen, Fingerschnippen, Sprechgesang, der mal ganz laut ist, mal eher ein Murmeln, empfängt die Mutigen und wer drin bleibt, wird belohnt. Nach einiger Zeit gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit und zu sehen sind gut ein Dutzend Tänzer, die sich gemeinsam im Beat bewegen, tanzen und singen. Und plötzlich stellt sich ein Wohlgefühl ein – wie damals als die Mutter draußen im Flur das Licht anknipste.

Der Mann, der uns diese Erfahrung auf der documenta 13 beschert, heißt Tino Sehgal und sein Kunstwerk „This Variation“. In der Kunstwelt ist der in Berlin lebende Sohn eines Inders und einer Deutschen längst kein Unbekannter mehr. Bereits 2005 hat er
während der Biennale in Venedig den deutschen Pavillon mit „This is so contemporary!“ bespielt. In mein Bewusstsein kam der 36-Jährige erst 2010 durch seine Einzelausstellung „This Progress“ im New Yorker Guggenheim. Die habe ich eher zufällig besucht. In Kassel war es absichtlich. Man muss „This Variation“ richtig suchen und Erläuterungen dazu finden sich auch nicht im documenta-Katalog (die Seiten 438 und 439 fehlen einfach). Das gehört zum Konzept: Keine Dokumentationen, keine Plakate, keine Materialien – nur Menschen, die Situationen konstruieren und damit Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen bei den Besuchern auslösen. Das muss man erst einmal hinkriegen. Wen wundert es da noch, dass die Rechte an seinen Arbeiten zu Preisen im fünfstelligen Bereich verkauft werden und er von keiner geringeren als der Galeristin Marian Goodman, die auch Richter, Struth und Schütte im Programm hat, vertreten wird. 
Mein Fazit: Wer sich Tino Sehgal in Kassel entgehen lässt, hat etwas verpasst. Sein neuestes Werk These Associations ist seit Dienstag in der Turbine Hall der Londoner Tate Modern zu sehen. Hinfahren, mitmachen und erfahren! 

Kassel: This Variation, documenta 13, links im Hinterhof des Hugenottenhauses, bis 16. 9.
London: These AssociationsTurbine Hall, Tate Modern, bis 28. 10. (der Eintritt ist frei!)


Bildnachweis/Photocredit: Jutta Kautny

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