Sonntag, 25. Mai 2014

„Christoph is upstairs“ – Schlingensief im MoMA PS1

Der Mitarbeiter des New Yorker PS1 interpretierte meinen fragenden Blick und erklärte mit einer entsprechenden Handbewegung: „Christoph ist oben.“ Ein „Tatsächlich?“ rutschte mir spontan über die Lippen. Er zuckte die Schultern, vermutlich mangels Deutschkenntnisse, und ich stieg mit einem Grinsen die Treppen hinauf in den zweiten Stock. Da empfing er mich auf einem Foto von der Aktion „Passion Impossible – 7 Tage Notruf für Deutschland“. Und die Reise in eine deutsch-politisch-kulturelle Vergangenheit begann.


Könnt ihr euch noch an die Schlingensief-Aktion auf der documenta 10 (1997) in Kassel erinnern? „Mein Filz, mein Fett, mein Hase“ hieß die Performance, die Zuschauer zum Mitmachen animierte: Deutschland als gigantisches Theaterstück mit Bundeskanzler Helmut Kohl als Direktor. Oder an „Talk 2000“ mit Schlingensief als Talkmaster im deutschen Fernsehen? Er lud damals Promis wie Beate Uhse, Hildegard Knef oder Harald Schmidt in seine Talkshow ein und konfrontierte sie mit seinen persönlichen Problemen, nahm einfach ein Nickerchen, wurde aggressiv und handgreiflich. Schlingensiefs Werke aus allen Phasen seines Schaffens bis hin zum noch nicht vollendeten Operndorf im westafrikanischen Burkina Faso sind in der Ausstellung dokumentiert.

Das alles wieder zu sehen, sich zu erinnern und mit zeitlichem Abstand auf amerikanischem Boden Revue passieren zu lassen – ist eine Chance, die ich mir nicht entgehen lassen wollte. Und ja, Klaus Biesenbach, Leiter des PS1 und Weggefährte von Schlingensief, hatte recht, als er bei der Eröffnung der Ausstellung sagte: „Es gibt keinen lebenden Künstler, der mit ihm vergleichbar wäre.“ Schlingensief starb am 21. August 2010, gut zwei Monate vor seinem 50. Geburtstag. Dies ist seine erste Solo-Schau in den USA. Zu sehen noch bis 31. August im PS1, eine Außenstelle des Museum of Modern Art in Queens.

Ein Besuch des PS1, das zu den renommiertesten Museen für zeitgenössische Kunst zählt, lohnt sich allemal, und zwar nicht ausschließlich der Kunst wegen: Untergebracht in einem ehemaligen Schulgebäude (aus jener Zeit stammt auch die Abkürzung PS1, die steht nämlich für Primary School One), erwartet euch hier kein architektonisches Meisterwerk, sondern ein Backsteingebäude mit alten Holzböden und einer ganz eigenen, lebendigen Atmosphäre.


Bildnachweis/Photocredit: 
Christoph Schlingensief. Passion Impossible: 7 Days of Emergency Call for Germany. 1997. 
Film still. Copyright Alexander Grasseck, Stefan Corinth (Ahoimedia)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen